Vom Nutzen der Theologie für das (Gemeinde)Leben Teil I

Von Kurt Igler


„Wenn du Theologie studierst, wirst du den Glauben verlieren!“ „Theologie studieren bedeutet, dass Du die Bodenhaftung verlierst, dass du dich in nutzlose Spekulationen und Streitigkeiten verstrickst, dass du dich vom wirklichen Leben und praktischen Christsein entfernst.“
Solche und ähnliche Aussagen bekommt man in christlichen Gemeinden und Kreisen immer wieder zu hören. Vielleicht werden dann auch biblische Verse zitiert wie die Mahnung des Paulus an Timotheus in 1. Tim. 1,3-7 (Zitate, wenn nicht anders vermerkt, aus Luther 84):
Du weißt, wie ich dich ermahnt habe, in Ephesus zu bleiben, als ich nach Mazedonien zog, und einigen zu gebieten, daß sie nicht anders lehren, auch nicht achthaben auf die Fabeln und Geschlechtsregister, die kein Ende haben und eher Fragen aufbringen, als daß sie dem Ratschluß Gottes im Glauben dienen. Die Hauptsumme aller Unterweisung aber ist Liebe aus reinem Herzen und aus gutem Gewissen und aus ungefärbtem Glauben. Davon sind einige abgeirrt und haben sich hingewandt zu unnützem Geschwätz, wollen die Schrift meistern und verstehen selber nicht, was sie sagen oder was sie so fest behaupten...



Oder Titus 3,9: Von törichten Fragen aber, von Geschlechtsregistern, von Zank und Streit über das Gesetz halte dich fern; denn sie sind unnütz und nichtig.

Abgesehen davon, dass Paulus selbst wohl der größte Theologe aller Zeiten gewesen ist, ist diese theologiekritische oder sogar theologiefeindliche Einstellung aus mehreren Gründen problematisch, ja schädlich. Da sie aber gerade in evangelikalen Kreisen recht verbreitet ist, möchte ich an dieser Stelle eine Lanze brechen für die Notwendigkeit und den Wert einer gründlichen, zeitgemäßen, biblischen Theologie.

A.

1. Zunächst sei der Herr Jesus selbst zitiert mit seiner Aufforderung zu ganzheitlicher Gottesliebe:

Lukas 10,27: Er antwortete: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken, und: Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst. (Einheitsübersetzung)

Wir sollen also Gott auch mit unserem Denken, unseren Gedanken, ehren und lieben, ihm Respekt erweisen durch das rechte Denken von ihm, seinem Wort, seiner Welt und seinen Geschöpfen.

Dazu braucht es Theologie. Jeder Christ macht sich seine Gedanken über Gott, sein Wort, seine Gebote, über Herkunft, Zustand und Zukunft dieser Welt. Theologie beschäftigt sich mit genau diesen Fragen: mit dem Wesen Gottes und der Heiligen Schrift, dessen richtiger Auslegung, und damit, was dieses Wort über uns Menschen und die Schöpfung zu sagen hat. Es macht Gott Ehre, wenn wir uns bemühen, richtig über diese Gegenstände zu denken. Das gelingt niemandem automatisch, sondern ist mit dem Studium des Wortes Gottes verbunden, aber auch dessen, wie andere vor uns darüber gedacht haben. Wie so vieles in unserem (christlichen) Leben ist auch die rechte Erkenntnis Gottes eine gemeinsame Aufgabe, die Gott seiner Gemeinde stellt, und wo wir von anderen Gläubigen lernen können und sollen.

Richtiges Denken von Gott und seiner Welt ehrt aber nicht nur Gott. Es hat auch äußerst weit reichende Folgen für das Leben der Menschen. Ein amerikanischer Philosoph hat einmal ein Buch geschrieben mit dem Titel „Ideas Have Consequences“ – Ideen haben Folgen. Über dieses Thema könnte man nicht nur ein Buch, sondern ganze Bibliotheken schreiben. Die ganze Menschheitsgeschichte ist im Grunde eine einzige Illustration dieser Wahrheit. Karl Marx hatte eine bestimmte Sicht von der Gesellschaft. Seine Ideen haben die Welt verändert. Oder die von Nietzsche, von Hitler, von Mao. Die praktischen Auswirkungen richtigen wie auch verkehrten Denkens sind ungeheuerlich. Und wenn irregeleitetes Denken Völker und Nationen in den Abgrund reißen kann, wie ernst muss es uns dann als Christen damit sein, selbst richtig, Gottes Wort gemäß, zu denken, und solches Denken zu propagieren.

2. Sodann lesen wir beim Apostel Petrus folgende Aufforderung:

1. Petrus 3,15: Haltet in eurem Herzen Christus, den Herrn, heilig! Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt. (Einheitsübersetzung)

Wir werden also aufgefordert, für unseren Glauben Rechenschaft zu geben, Rede und Antwort zu stehen, Gründe anzuführen, warum wir glauben, was wir glauben, und warum es auch andere glauben sollen.

Hier ist der ganze Bereich der Apologetik angesprochen. Apologetik ist der Bereich der Theologie, in dem es darum geht, den Glauben zu verteidigen und zu rechtfertigen (griechisch apologia = Verteidigung, Rechtfertigung, v.a. vor Gericht). Wir glauben ja nicht ohne Grund an die biblische Offenbarung und an Jesus. Es ist nicht unvernünftig, daran zu glauben, ein Christ muss nicht vor dem Bibellesen den Verstand an der Garderobe abgeben, er muss keinen blinden Sprung in eine Finsternis machen, in der es keine vernünftige Rede geben kann. Jedes Mal, wenn man als Christ gefragt wird, wieso man an Jesus und ans Wort Gottes glaubt, begibt man sich auf das Gebiet der Apologetik. Wenn man anhand der Natur zeigen will, dass es einen Schöpfer geben muss, wenn man auf die erfüllte Prophetie der Bibel hinweist, wenn man die Zuverlässigkeit der Wunder oder der Auferstehung Jesu ins Feld führt: All das ist Theologie, genauer Apologetik. Und die Schrift selbst ermahnt uns, bereit und folglich auch vorbereitet zu sein für dieses Einstehen für die Wahrheit Gottes.

© Kurt Igler, 2004

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