Vom Nutzen der Theologie für das (Gemeinde)Leben Teil II

Von Kurt Igler


3. Wenn man weiter danach fragt, wieso man recht von Gott und der Welt denken soll, und wieso man gute Gründe für die Wahrheit der Offenbarung Gottes anführen soll, dann gelangt man zu einem dritten Grund für die Wichtigkeit der Theologie:

Und zwar hängt die Notwendigkeit, Theologie zu treiben, zusammen mit dem bereits erwähnten Liebesgebot, mit dessen zweitem Teil: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.

Die Liebe zu unseren Mitmenschen bewegt uns dazu, ihnen auch von Jesus zu sagen, ihnen auch die Liebe Gottes nahe zu bringen, damit sie glauben und gerettet werden. Wir müssen mit ihnen kommunizieren, uns ihnen verständlich mitteilen, auf sie mit ihren Fragen und Nöten eingehen und das Wort Gottes in ihre persönliche Situation hineinsprechen...



Das bedeutet nicht, dass ich meinem Gesprächspartner nach dem Mund reden soll, und auch nicht, dass ich ihm nichts zumuten darf, was ihn herausfordert und in Frage stellt. Aber gerade wenn ich ihm die Zumutung des Glaubens verdeutlichen will, muss er verstehen, was ich sage. Es muss unser Bemühen sein, dass unser Gegenüber durch uns mit der Wahrheit über Gott konfrontiert wird, und zwar so, dass er weiß, was wir meinen.

Hier kommt wiederum die Theologie ins Spiel. Theologie versucht, die Fragen und das Denken der Gegenwart ernst zu nehmen, zu sehen, welche Antworten auf die Fragen gegeben werden, und zu zeigen, dass die Bibel und der Glaube an Jesus Antworten auf Fragen geben, die ohne sie letztlich ungelöst bleiben.

Zwei Beispiele dazu: heute in der Zeit der so genannten Postmoderne ist den Menschen das Vertrauen auf die menschliche Vernunft gründlich vergangen. Man hat die Suche nach der einen Wahrheit mittels der Vernunft aufgegeben und resigniert behauptet, es gebe keine eine, verbindliche Wahrheit, und selbst wenn, dann könnten wir sie nicht erkennen. Es gibt viele Wahrheiten, die unvermittelt nebeneinander stehen, einen Wahrheitspluralismus, jeder hat seine eigene Wahrheit. Die einsichtigeren Zeitgenossen haben erkannt, dass man in diesem Fall vielleicht gar nicht mehr von Wahrheit reden soll, denn wie können zwei Ansichten gleichzeitig wahr sein, die sich gegenseitig ausschließen? Und wenn eine Aussage wahr sein soll, und ihr Gegenteil ebenso, dann ist man endgültig in der Absurdität angelangt. Daher soll man nicht mehr von vielen Wahrheiten reden, sondern von vielen Meinungen, deren Wahrheitsgehalt nicht beurteilt werden kann.

Können wir ermessen, welche Folgen dieser Wahrheitsrelativismus bzw. -skeptizismus hat? Kann man so wirklich leben? Ohne verbindliche Wahrheit, ohne Wegmarkierungen, ohne wahre Erkenntnis über die Welt und mich selbst? Und welche erlösende Antwort gibt uns Gott in diese Situation hinein durch die Offenbarung seiner Wahrheit!

Ein zweites Beispiel: mit dem Glauben an die Fähigkeiten der Vernunft ist auch der Fortschrittsglaube in die Krise geraten. Der moderne Mensch war der Überzeugung, dass er mittels seines Verstandes und seiner unbegrenzten Fähigkeiten ein irdisches Paradies errichten könnte, ob das nun als Klassenlose Gesellschaft oder Drittes Reich oder materielles Schlaraffenland ausgemalt wurde. Dieser Optimismus ist auch verflogen. All die praktischen Versuche, die neue Welt zu erschaffen, sind gescheitert. Man hofft vielleicht noch auf die schrankenlose Marktwirtschaft, und darauf, dass sich Demokratie und Rechtsstaat irgendwie doch auf der ganzen Welt durchsetzen. Aber angesichts der geopolitischen Entwicklung, des weltweiten Terrors, der moralischen und demographischen Krise des Westens, scheint diese Hoffnung wenig Berechtigung zu haben. Die Angst vor der Zukunft wächst, und mit ihr die Ahnung, dass wir uns auf schwierige Zeiten einstellen müssen. Was bringt die Zukunft? Was sollen wir erstreben, worauf wollen wir hinarbeiten? Können wir die Zukunft gestalten, oder kommt sie unaufhaltsam auf uns zu, sind wir ihr als unserem Schicksal einfach ausgeliefert?

Wiederum: welche Hoffnung bietet uns dagegen das Wort Gottes! Die Zusage Gottes, dass wir nicht dem blinden Schicksal ausgeliefert, sondern in der Fürsorge Gottes geborgen sind, der die Geschichte lenkt und sie zu einem guten Ende bringt! Dass sein Reich kommt! Dass es bereits angebrochen ist, und dass es überall dort schon gegenwärtig ist, wo Gott in seiner Gemeinde durch seinen Geist regiert! Und dass es sich dort wahrhaft gut leben lässt, wo es der Gemeinde Jesu gelingt, Kultur und Gesellschaft durch ihr Beispiel und ihren Einsatz zu prägen.

Aber ohne Theologie können wir diesen Fragen und Krisen nicht angemessen begegnen. Wir können den notwendigen Bezug zwischen der gegenwärtigen Situation, in der wir uns als Gesellschaft befinden, und dem Wort Gottes ohne Theologie nicht herstellen.

4. Ein vierter Grund für die Notwendigkeit der Theologie sei noch angeführt, und er folgt aus den Worten Jesu in Matthäus 5,13-14:

Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Es ist zu nichts mehr nütze, als daß man es wegschüttet und läßt es von den Leuten zertreten. Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein.

Jesus bezeichnet seine Leute als „Salz der Erde“ und „Licht der Welt.“ Er spielt damit auf zwei Funktionen an, die die Gemeinde Jesu in dieser Welt hat: einerseits eine bewahrende, erhaltende Funktion, und andererseits eine wegweisende, Orientierung gebende. Wenn man so will, eine konservative und eine progressive. Christen sollen in der Gesellschaft für das Gute eintreten, es verkünden, es beispielhaft vorleben, um sie vor dem Niedergang zu bewahren. Oder vor einer Umwertung aller Werte, wie wir sie gegenwärtig beobachten und deren Auswirkungen wir zu spüren beginnen, man denke nur an die Infragestellung der Würde menschlichen Lebens in der Embryonenforschung, in der Abtreibungsfrage und in der Euthanasiedebatte.

Und Christen haben die Aufgabe, Orientierung zu geben, zu zeigen, wie Leben gelingt, dass Ehe und Familie unverzichtbar sind für das menschliche Glück und Gedeihen, dass es gute Ordnungen gibt, die das Leben nicht einschränken, sondern schützen. Sie sollen Antworten geben können auf die Frage: „Wie können wir denn leben?“

Sie werden das aber nur können, wenn sie diese Dinge durchdacht haben, wenn sie theologisch gearbeitet haben. Wenn sie erkannt haben, was der Auftrag Jesu an seine Gemeinde für die Gesellschaft ist, und wie sie ihn wahrnehmen können. Die Beantwortung der Frage: was heißt es denn, Salz der Erde und Licht der Welt zu sein?, ist eine Aufgabe der Theologie, und die Gemeinde muss diese Antwort hören und verstehen.


© Kurt Igler, 2004

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