Eingehakt

Eine falsche Wortwahl mit verhängnisvollen Assoziationen

(Brief von Kurt Igler an den Türkei-Korrespondenten einer bekannten deutschen Zeitung zu seinem Bericht über Evangelikale in der Türkei nach der Ermordung von Tilman Geske am 29.6.2007)

Sehr geehrter Herr XY!

Ich habe mit Interesse Ihren Artikel in der Zeitung YZ über die staatlich verordnete Hetze gegen Missionare in der Türkei gelesen. Es war hilf- und aufschlussreich, über die Hintergründe der bösen Stimmung gegen christliche Missionare zu lesen. Danke für diese Information.

Als freikirchlicher Pastor und Theologe möchte ich aber auch auf eine Aussage in ihrem Beitrag Bezug nehmen, die mir gar nicht gefallen und mich sehr irritiert hat.

Sie schreiben von "den sogenannten evangelikalischen Freikirchen, die tatsächlich aggressiv missionieren". Einerseits bezeichnen Sie die Freikirchen falsch, es müsste "evangelikal" heißen. Während Sie hier Unkenntnis zeigen, wissen Sie hingegen anscheinend genau, dass diese Freikirchen "aggressiv" missionieren. Was meinen Sie damit? Woher wissen sie das?...


Es ist höchst problematisch, im Zusammenhang mit Folter und Ritualmord an evangelikalen Christen davon zu sprechen, dass diese "aggressiv" missionierten. Heißt das, dass sie durch Aggression Gegen-Aggression provoziert haben?? Ist türkischer Unmut verständlich, weil "aggressiv" missioniert wird?? Ich denke, Sie haben hier in der Wortwahl schlimm daneben gegriffen.

"Aggressiv" missionieren können Christen keinesfalls in der Türkei. Das ist verboten und unmöglich. Ich kenne auch keinen Missionar, der "aggressiv" missionieren möchte oder dies tut. Die Konsequenzen wären vermutlich Ausweisung oder Gefängnis. "Aktiv" missionieren ist nur beschränkt möglich, vor allem im persönlichen Gespräch mit Interessenten, kaum öffentlich. Allein das sollte sehr zu denken geben in einem Land, das Mitglied der EU werden möchte (Stichwort "Religionsfreiheit"). "Aktiv" missionieren und "aggressiv" missionieren sind jedenfalls sehr verschiedene Dinge.

Ich habe den Eindruck, "aggressive Mission" ist zu einer abschätzigen Stehformel zur Beschreibung der evangelistischen Bemühungen überzeugter Christen geworden, weil man christliche Mission grundsätzlich als Anmaßung versteht. Dabei haben Christen immer aktiv die Botschaft von Jesus weitergesagt, auch unter Verfolgung. Anders wäre das Christentum niemals die größte Weltreligion und prägend für die europäische Kultur geworden. Aber der weitaus größte Teil dieser Missionstätigkeit geschah auf friedliche, mit Wohltätigkeit verbundene, aufopfernde Weise von Menschen, die aus großer Überzeugung und mit einem tiefen Anliegen die Botschaft von der Versöhnung weitergesagt haben.

Wo Christen zur Gewalt gegriffen haben, wurden sie der Botschaft und dem Vorbild Jesu zutiefst untreu. Anders im Islam. Dort gab es wesentlich mehr "aggressive" Mission, und die konnte sich durchaus zu Recht auf den Gründer Mohammed berufen, der bekanntlich nicht gerade ein Pazifist war.

Sehr geehrter Herr XY, ich hoffe, Sie können meine Irritation verstehen und nehmen in Zukunft mehr Bedacht auf die Wortwahl in Bezug auf engagierte Christen. Meine Beobachtung ist, dass hier in den Medien viel Unwissenheit und Ignoranz herrscht, und dass sehr häufig ein Zerrbild von Christen entworfen wird. Man sucht beispielsweise gewisse extreme Erscheinungen an den Rändern der evangelikalen Bewegung und präsentiert diese als charakteristisch für die ganze große und vielschichtige Bewegung. Das ist unlauter. Ich unterstelle Ihnen letzteres nicht; aber nachdem Sie ein Medienvertreter sind, der sich mit diesen Themen beschäftigt, ersuche ich Sie, auf mehr Fairness in der Berichterstattung über Christen zu achten und hinzuwirken.

Mit freundlichen Grüßen
Kurt Igler, Pastor

Kommentare

Unknown hat gesagt…
Klasse Beitrag
Unknown hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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